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Legendäre Lady

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Billie Holiday wäre heute 100 geworden: Eine Frau zwischen Exzess und Erfolg

Im Hintergrund erklingen die ersten düsteren Klavierakkorde, als Billie Holiday mit ihrer rauen, traurigen Stimme zu “Strange Fruit” ansetzt. Eine seltene Aufnahme dieses Klassikers, die 1959 in London für das britische Fernsehen produziert wurde. Lady Day, wie sie von ihrem Freund Lester Young gerne genannt wurde, zieht jede Silbe in die Länge, zischt die Konsonanten mit einer groben Wucht durch ihre Zähne. Dabei bleibt ihr Gesicht stets kühl. Nur die hochgezogene rechte Augenbraue lässt die Wut erkennen, die gerade tief in ihr kocht.

„Southern trees bear a strange fruit, / blood on the leaves and blood at the root, / black body swinging in the Southern breeze, / strange fruit hanging from the poplar trees“, lauten die ersten Verse aus “Strange Fruit”. Jene Aufnahme entstand also zwanzig Jahre, nachdem Billie Holiday das Lied zum ersten Mal gesungen hatte: 1939 im intellektuellen Café Society in New York. Es wurde schnell zu einer Bürgerrechtshymne, vergleichbar mit Rosa Parks Bus-Protestaktion Mitte der Fünfziger. Das viele Blut, der Körper eines Schwarzen, der von einem Baum hängt, eine Erinnerung an die brutalen Lynchmorde, die es einst gab. Auch heute ist die Metapher aktuell.

Im Februar 2015 läuft Ava du Vernays Film “Selma” über Martin Luther King in den Kinos an, im Sommer 2014 gingen unzählige Menschen in Ferguson, Missouri, auf die Straße, um gegen den Mord an einem jungen Schwarzen zu protestieren und gegen Ungerechtigkeiten zu kämpfen, die es noch immer in der Gesellschaft gibt.

Für die eine Bühne zu weiß, für die andere zu schwarz

Billie Holiday wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Ein Jahrhundert ist also vergangen, in dem enorm viel passiert ist, sich aber letztlich nicht viel verändert hat. Diese Frau trägt den Konflikt in sich vereint: Für die eine Bühne zu weiß, musste sie sich mit Schuhcreme schwärzen; für die andere zu schwarz, blieb ihr nur Weg über der Hintereingang. So legte sie all den Schmerz in ihre wunderbare Stimme, in ihre Musik.
Am 7. April 1915 wurde sie als Eleanora Harris in Philadelphia geboren. Die Mutter ein armes Dienstmädchen, der Vater abwesend, wuchs Billie Holiday vor allem bei Verwandten auf, die sie misshandelten. Zurück bei ihrer Mutter nahm die Gewalt kein Ende. Ein Nachbar vergewaltigte sie. Damals war sie erst elf Jahre alt. Eine Kindheit, die später ihr gesamtes Leben prägen würde. Sie arbeitete als Putzhilfe, dann als Prostituierte. So kam sie in Berührung mit der Welt der Musik. Ausgerechnet in einem Bordell. Drogenexzesse, Gefängnisaufenthalte, Männereskapaden folgten. Und immer wieder der Jazz, der ihr bis zum Schluss Kraft verlieh.

Der Mythos Billie Holiday ist bis heute ein großes Rätsel. Auch die Autobiografie “Lady sings the blues”, die sie 1956 gemeinsam mit dem Journalisten William Dufty verfasste und die wenige Jahre später mit Diana Ross in der Hauptrolle verfilmt wurde, lässt viele Fragen offen. Wie und wann genau Billie Holiday ihr erstes Engagement erhielt, darüber wird nur spekuliert. 1933 soll sie ihren ersten Plattenvertrag erhalten haben, von dem Produzenten John Hammond. Darauf folgte eine innige Liaison mit ihrem langjährigen Seelengefährten, dem Saxofonisten Lester Young. Sie nannte ihn „Prez“ (für Präsident). Er nannte sie Lady Day. Doch das Glück hielt nicht lange. Der Erfolg, die Drogen, der Alkohol. Andere Männer. Immer wieder besingt Billie Holiday mit ihrer bittersüßen Stimme den Schmerz: „My man don’t love me, treats me oh so mean. / My man he don’t love me, treats me awful mean. He’s the lowest man that I’ve ever see.“ In “Fine and mellow” bringt sie es auf den Punkt. Die Gewalt, die Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung.

Mürbe und müde

Trotz ihres enormen Erfolgs in den 50er und 60er Jahren war es vor allem diese emotionale Zerrissenheit, die faszinierte. In funkelnden Abendroben und mit weißem Blumenschmuck im Haar trat sie in der Carnegie Hall und der Metropolitan Opera auf, wurde gefeiert und verehrt. Während sie selbst an sich und ihrem Leben zweifelte, waren ihren Fans die endlosen Exzesse egal. Sie wurden ein Teil ihrer Persönlichkeit und der Legende, welche auch heute noch in ihrer Musik bestehen bleibt. In jenen späten Aufnahmen von 1959 hört man ihrer Stimme die Erschöpfung an. Mürbe und müde haucht Billie Holiday die trüben Klänge aus “Strange Fruit” ins Mikrofon, wenige Monate bevor sie mit nur 54 Jahren an den Folgen einer Leberzirrhose starb.

Julia Weigl

Die Kritik Legendäre Lady erschien zuerst auf cult: Kulturzeitung der bayerischen Theaterakademie cult:online - Kritik.


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